Altenpflege im Katastrophenfall: Disaster Nursing

(Bild: Ververidis Vasilis/Shutterstock)Ulm (lse) – Die Versorgung älterer, pflege- und hilfsbedürftiger Menschen stellt in Katastrophenlagen eine besondere Herausforderung dar. In solchen Situationen wirken sich Ausfälle von Strom, Wasser, Kommunikation und Transport besonders gravierend auf Pflegeeinrichtungen aus.

Viele Bewohner der genannten Einrichtungen sind immobil, chronisch krank oder kognitiv eingeschränkt. Evakuierungen sind organisatorisch und medizinisch komplex. Gleichzeitig fällt es unter Krisenbedingungen schwer, eine kontinuierliche pflegerische und medizinische Versorgung sicherzustellen.

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Pflegekräfte stehen in solchen Momenten unter hohem Entscheidungsdruck, während Personalengpässe, mangelhafte Vorbereitung und fehlende externe Unterstützung die Lage verschärfen. Erfahrungen aus vergangenen Ereignissen zeigen, dass Pflegefachpersonen im Katastrophenfall häufig nicht entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt wurden. Ihr Potenzial blieb deshalb im Einsatzgeschehen weitgehend ungenutzt; gleichzeitig entstanden Versorgungsdefizite für Pflegebedürftige.

Seit 2023 sind Pflegeeinrichtungen durch neue gesetzliche Vorgaben für Katastrophenfälle stärker in die Pflicht genommen. Nach dem neu eingeführten Paragrafen 113c des Elften Sozialgesetzbuches sind stationäre Pflegeeinrichtungen verpflichtet, eigene Konzepte zur Notfall- und Krisenvorsorge vorzuhalten. Darüber hinaus greifen landesrechtliche Regelungen zum Brand- und Katastrophenschutz sowie die Vorgaben des Bevölkerungsschutzes der Länder.

Auch das Pflegeberufegesetz umfasst Inhalte zur Notfall- und Krisenversorgung in der Ausbildung. Trotz dieser Regelungen bestehen in der Praxis deutliche Umsetzungsdefizite. Pflegeeinrichtungen verfügen häufig weder über ausreichend erprobte Evakuierungspläne noch über belastbare Absprachen mit der Feuerwehr, dem Rettungsdienst bzw. Katastrophenschutzbehörden. In einem Forschungsprojekt an der Hochschule Magdeburg-Stendal wird untersucht, wie Pflegekräfte in ihrer Ausbildung auf Katastrophen wie Starkregen, Hochwasser, Stürme oder Hitzewellen vorbereitet werden.

Disaster Nursing gewinnt an Bedeutung

Vor diesem Hintergrund gewinnt der Ansatz der sogenannten Disaster Nursing an Bedeutung. Dabei handelt es sich um ein pflegefachliches Konzept, das Pflegekräfte systematisch auf Einsätze in Katastrophen- und Krisenlagen vorbereitet. Grundlage sind die international entwickelten Kernkompetenzen des International Council of Nurses, die inzwischen in deutscher Sprache vorliegen. Diese umfassen unter anderem Vorbereitung, Risikokommunikation, Sicherheit, Koordination sowie ethische Entscheidungsfindung im Ausnahmezustand. Ziel ist es, Pflegefachpersonen in die Lage zu versetzen, auch unter instabilen Bedingungen eigenständig und strukturiert zu handeln.

(Bild: AYO Production/Shutterstock)Auf Bundesebene wurde mit dem Kompetenzzentrum „Pflege im Bevölkerungsschutz“ eine Struktur geschaffen, um das Thema Pflege systematisch in den Katastrophenschutz einzubinden. Entwickelt wurden hierfür modulare Fortbildungen, die Pflegefachpersonen aus stationären und ambulanten Bereichen auf Krisenlagen vorbereiten. Ergänzend wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts ein Lehrkonzept mit Planspielen ausgearbeitet, das Szenarien wie Extremwetterlagen, Stromausfälle oder Pandemien simuliert. Diese Inhalte sollen langfristig in die Pflegeausbildung integriert werden. Pflege soll dadurch fester Bestandteil von Krisenstrukturen und nicht erst im Schadensfall improvisiert eingebunden werden. Wie Katastrophenschutz und Pflegebereich enger zusammenarbeiten können, erforscht das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt “Kontexte von Pflege- und Hilfsbedürftigen stärken (KOPHIS)”.

Anforderungen an Feuerwehr, Rettungsdienst und Pflege

Für die operative Zusammenarbeit zwischen Feuerwehr, Rettungsdienst und Pflege ergeben sich konkrete Anforderungen. Pflegeeinrichtungen müssen in die Krisenkommunikation der Leitstellen eingebunden sein. Zuständigkeiten für Transport, medizinische Sichtung und pflegerische Betreuung müssen vorab abgestimmt werden. Einsatzleitungen benötigen klare Informationen über den Pflegebedarf, den Mobilitätsgrad der Bewohner und vorhandene Ressourcen vor Ort. Pflegefachpersonen können im Einsatz unter anderem bei der Einschätzung des Pflegezustands, der Medikamentengabe, der Wundversorgung, der Betreuung von Demenzkranken sowie der psychosozialen Stabilisierung unterstützen. Gleichzeitig braucht der Rettungsdienst feste Ansprechpartner in den Einrichtungen, um Evakuierungen und Verlegungen nachvollziehbar steuern zu können. Diese Schnittstellen scheinen bislang häufig nicht ausreichend definiert zu sein.

(Bild: Kzenon/Shutterstock)Durch verbindliche Krisenkonzepte, strukturierte Fortbildungen und eine stärkere Vernetzung mit den Fachdiensten kann das bislang wenig genutzte Potenzial der Pflege im Katastrophenfall besser erschlossen werden. Pflegefachkräfte sind bei einer Katastrophe also nicht nur Betroffene, sondern können eine zentrale Rolle bei der Versorgung vulnerabler Gruppen sein.

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