(Bild: Markus Hechenberger/ÖRK)Wien/Köln (lse) – Die Klimakrise zeigt sich längst im Alltag von Rettungsdiensten. Mit steigenden Temperaturen und häufigeren Hitzewellen nehmen auch hitzebedingte Notfälle messbar zu. Notärztinnen und Notärzte sind gefordert – nicht nur im Einsatz, sondern zunehmend auch als Datenlieferanten und Mitgestalter von Prävention.
Das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK) geht hier mit dem innovativen Projekt „TIRD“ (Temperature Impact on Rescue and Dispatch) voran – und liefert dabei auch Impulse für den deutschen Rettungsdienst.
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Hitze als unterschätztes Gesundheitsrisiko
„Wie wir alle wissen, nehmen extrem heiße Wetterperioden aufgrund der globalen Klimakatastrophe zu. Das beeinflusst auch unsere Arbeit im Rettungsdienst“, sagt Gerry Foitik, Bundesrettungskommandant beim ÖRK. Besonders gefährdet sind ältere Menschen, chronisch Kranke, Schwangere, Kleinkinder und Pflegebedürftige. „Für unser Gesundheitswesen ist es essenziell, die Auswirkungen von extremer Hitze auf das Leben der Menschen noch besser zu erforschen, um die richtige Versorgung auch in der Zukunft sicherstellen zu können.“
Auch Dr. Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner an der MedUni Wien, betont: „Neben akuten Hitzeschäden wie Kollaps und Hitzschlag kommt es vermehrt zu Herz-Kreislauf-, Atemwegs- und Nierenerkrankungen, was zu erhöhten Krankenhausaufenthalten und vorzeitigen Todesfällen führt.“
Temperaturdaten aus dem Rettungseinsatz
Im Rahmen von TIRD werden Notfallsanitäterinnen und -sanitäter mit mobilen Sensoren ausgestattet, die direkt im Einsatz Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit erfassen – also jene klimatischen Bedingungen, unter denen sich Notfälle ereignen.
„Wenn ein Mensch bei mehr als 30 Grad Celsius Raumtemperatur und hoher Luftfeuchtigkeit leben muss, wirkt sich das negativ auf seine Gesundheit aus“, erklärt Foitik. „Wir erfassen die ermittelten Werte im Patientinnen- und Patientenbericht und liefern damit eine durchgehende Informationskette vom Wohnzimmer bis zur Notaufnahme.“
Diese Verknüpfung medizinischer und klimatischer Daten ermöglicht es, Hitzefolgen präziser zu dokumentieren – eine Maßnahme, die nicht nur die Behandlung verbessert, sondern auch der Forschung und Prävention dient.
Deutschland: Auch hier wächst der Handlungsdruck
Auch in Deutschland mehren sich die Initiativen. Zwischen 2018 und 2022 registrierte das Robert Koch-Institut (RKI) rund 19.300 hitzebedingte Todesfälle – ein deutlicher Hinweis auf den gesundheitspolitischen Handlungsbedarf. Laut RKI könnten sich diese Zahlen bis 2050 mehr als verdoppeln, sollte die globale Erwärmung ungebremst voranschreiten.
Initiativen wie das Berliner HitzeRegister der Charité, das kommunale Frühwarnsysteme mit Rettungsdienststatistiken verknüpft, oder die Hitzewarnsysteme des Deutschen Wetterdienstes (DWD), die über 1.000 Pflegeeinrichtungen täglich versorgen, zeigen: Auch in Deutschland setzt man zunehmend auf Prävention durch Daten.
Die NGO KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit fordert darüber hinaus eine systematische Integration von Hitzeschutz in die medizinische Praxis – inklusive Fortbildungen für den Rettungsdienst.
GEOMED – Erfahrungen aus Bonn
Auch die Forschungsgruppe GEOMED der Universität Köln hat sich intensiv mit den Auswirkungen extremer Wetterlagen auf den Rettungsdienst beschäftigt. Im Rahmen eines Langzeitprojekts wurden bis Ende 2008 sämtliche Rettungs- und Krankentransporte in Bonn anonymisiert ausgewertet – in Kooperation mit der Rettungsleitstelle der Feuerwehr und dem Universitätsklinikum Bonn. Erfasst wurden Einsatzgründe und Alter der Betroffenen, um Risikogruppen wie ältere Menschen besonders im Blick zu behalten. Ziel war es, den Zusammenhang zwischen bestimmten Krankheitsbildern und Wetterparametern wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Ozon- und Feinstaubbelastung zu ermitteln. Die Ergebnisse sollten langfristig dazu beitragen, Rettungsdienste und Ärztinnen bzw. Ärzte frühzeitig zu warnen, wenn wetterbedingt mit einer Zunahme von Notfällen zu rechnen ist – und so eine Wiederholung von Hitzedramen wie im Sommer 2003 zu verhindern.
Hitzetage auf dem Vormarsch
Die Zunahme der Hitze ist wissenschaftlich eindeutig. „Die Hitzebelastung in Österreich hat massiv zugenommen“, erklärt Andreas Schaffhauser, wissenschaftlicher Generaldirektor der GeoSphere Austria. „Die Zahl der Hitzetage, das sind Tage mit mindestens 30 Grad, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vervielfacht. Was früher Rekorde waren, ist mittlerweile Durchschnitt.“
Konkret heißt das: In den österreichischen Landeshauptstädten stieg die Zahl der jährlichen Hitzetage im Durchschnitt von 3–12 (1961–1990) auf 9–23 (1991–2020). „Die Rekorde lagen früher bei 20, heute bei über 40 Tagen.“ Prognosen zufolge könnten es bis zum Jahr 2100 ohne konsequenten Klimaschutz 60 bis 80 Hitzetage jährlich werden.
Diese Entwicklung betrifft auch Deutschland. Frankfurt/Main zählte 2022 bereits 29 Hitzetage, in den 1980er Jahren waren es durchschnittlich nur vier bis fünf.
Prävention durch Rettungsdaten
Neues Projekt: 5.000 Thermo-Hygrometer messen ab sofort Temperatur und Luftfeuchtigkeit am Einsatzort. (Bild: Markus Hechenberger/ÖRK)
„Für eine effektive Prävention sind detailliertere Daten erforderlich“, sagt Hutter. „Nur so können das Ausmaß gesundheitlicher Hitzefolgen besser erfasst und Maßnahmen zur Minimierung entwickelt werden.“
Foitik ergänzt: „Mit den Daten, die wir durch das Projekt ‚TIRD‘ gewinnen, können wir die Hitze-Prävention verbessern und das Gesundheitssystem entlasten.“
Für Notärzte ergibt sich daraus ein konkreter Handlungsauftrag:
1. Klimabedingungen im Einsatz dokumentieren – Temperatur, Luftfeuchte und Wohnsituation in das Protokoll integrieren.
2. Risikopatienten frühzeitig erkennen – z. B. geriatrische Patienten, Polypharmazie, Immobilität, Isolation.
3. Patienten und Angehörige beraten – Hinweise zu Flüssigkeitsaufnahme, Raumkühlung, Medikamentenanpassung geben.
4. An Projekten wie TIRD teilnehmen – Datenbasis schaffen für Gesundheitspolitik, Forschung und Versorgung.
Rettungsdienste als Frühindikator für Hitzefolgen
Rettungsdienste sehen oft als erste, wie sich der Klimawandel auf Menschen auswirkt. Projekte wie TIRD liefern einen strukturierten Rahmen, um dieses Wissen systematisch nutzbar zu machen – auch für Deutschland ein Modell mit Vorbildcharakter.
„Der Rettungsdienst wird zum Seismographen der Klimakrise“, sagt Foitik. „Und zu einem Schlüsselakteur im Hitzeschutz.“